Postkarte 1: Das Lebensborn-Heim "Hochland" in Steinhöring unter dem Hakenkreuz - Seitenansicht
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Von wegen „Hilfskräfte“!
Gefangene, Gezwungene! (Teil 1)
Schutzhäftlinge und Kriegsgefangene,
die für den Lebensborn arbeiten mussten
 

Freiwillig arbeiten sie nicht für den Lebensborn. Sie sind zur Arbeit abkommandiert,
aus KZs und Kriegsgefangenenlagern. Sie sind und bleiben Gefangene, Häftlinge –
auch in München und Steinhöring, in Wiesbaden, Ansbach und Bofferdingen.

Bewacht von SS-Posten, wurden im Sommer 1942 nach und nach 40 Häftlinge aus dem KZ Dachau nach München abkommandiert, zum Lebensborn. Geschäftsführer
Max Sollmann höchstpersönlich verteilte die Arbeitsaufträge: Aus- und Umbau von Immobilien, Trümmerbeseitigung und Instandsetzung nach Bombenangriffen.
Über die Behandlung der Häftlinge gab der ehemalige Lebensborn-Hausmeister
Michael Brandmeier 1947 zu Protokoll:

„Die Behandlung dieser Konzentrationslagerhäftlinge durch den Lebensborn e.V.
war sehr schlecht. Dieselben mussten bei jeder Witterung, bei Regen und großer Kälte Außenarbeiten verrichten. Der Arbeitstag war von 6 Uhr morgens bis 7 Uhr abends.
Die Kleidung und Schuhe dieser Häftlinge war dermaßen schlecht, dass mehrere, speziell während der großen Kälte im Winter erkrankten.“
[1]

Mangelnde Versorgung und Arbeitshetze, Schikanen und Misshandlungen durch die SS-Posten erniedrigten und quälten die Häftlinge zusätzlich.
Als nach massiven Bombenangriffen im Sommer 1944 die Lebensborn-Zentrale nach Steinhöring auswich, wurde auch das Häftlings-Kommando dorthin verlegt, mitsamt den SS-Posten. Zuerst waren die Männer vor allem zum Barackenbau eingesetzt, später zu Instandsetzungsarbeiten und Transportaufgaben.
Über einzelne Personen ist wenig bekannt. So viel ist immerhin klar: Viele stammten aus besetzten Ländern, aus Österreich, aus Polen, aus der Tschechoslowakei. Einige waren politische Häftlinge, andere Zeugen Jehovas, die wegen ihres Glaubens interniert worden waren.[2]

Auch über Kriegsgefangene, die zum Lebensborn abkommandiert waren, wissen wir bisher wenig. Zwei Dokumente, die ich in den Arolsen Archives gefunden habe, vermitteln immerhin einen Eindruck vom Leben dieser Männer im bayerischen Lebensborn-Heim in Steinhöring.
Dokument Nummer eins stammt vom Juli 1941. Darin geht es um einen französischen Kriegsgefangenen – und eine Lebensborn-Mutter. Sie hat dem Franzosen zugewinkt und einmal sogar mit ihm gesprochen! Der Kriegsgefangene erinnere sie an ihren gefallenen Ehemann, rechtfertigt sich die Frau, als Gregor Ebner (Heimleiter und leitender Arzt des Lebensborn) sie zur Rede stellt. Der zeigt keinerlei Verständnis, sondern belehrt sie streng: Eine solche Kontaktaufnahme verstoße gegen die „Vorschriften über Behandlung von Kriegsgefangenen“. Erst als sie „mit Handschlag“ verspricht, dass sie „keinerlei Berührung mit dem Kriegsgefangenen mehr suchen werde“, belässt Ebner es bei einer „eindringlichen Verwarnung“ und verzichtet auf ihre Entlassung aus dem Heim.[3]

1943 – das zweite Dokument - beschweren sich einige Steinhöringer Mütter:

„Die drei französischen Kriegsgefangenen … bekämen als zweites Frühstück Butter und Wurst, während die Mütter kein zweites Frühstück bekämen.“[4]

Die Angelegenheit wird untersucht, die Franzosen trifft keine Schuld, trotzdem befiehlt Lebensborn-Geschäftsführer Sollmann, die drei Männer „sofort abzulösen“ - d.h. ins Kriegsgefangenenlager zurück zu schicken. Aber Ebner interveniert: In einem Bitt-schreiben erklärt er, warum die Kriegsgefangenen für das Heim unentbehrlich seien:

„Die Franzosen werden für Hausmeisterarbeiten, Bedienung der Heizung, Einholen von Milch, Lebensmitteln und Fracht, Bestellung des Gartens usw. verwendet.“ Sie arbeiteten „zum großen Teil selbständig“. Und: „Die Gefangenen haben sich unseren Frauen und Mädchen gegenüber immer so anständig und tadellos verhalten, dass noch niemals die geringste Klage über sie vorgebracht werden konnte.“

Ebner vergisst auch nicht zu erwähnen, dass es mit serbischen Kriegsgefangenen,
die einmal kurz in Steinhöring arbeiten mussten, „in dieser und anderer Beziehung größte Schwierigkeiten“ gegeben habe.[5] Ob die drei Franzosen tatsächlich „abgelöst“ wurden, ist nicht bekannt.
Ebners Schreiben liefert detaillierte Informationen über Arbeitsbereiche und Arbeitsweise der Kriegsgefangenen – und über das tägliche Miteinander, in dem Empathie genauso einen Platz hat wie Misstrauen und Neid. Es zeigt, wie unentbehrlich diese „Arbeitskräfte“ im vierten Kriegsjahr waren, es zeigt, dass sie eine gewisse Wertschätzung erfuhren. Trotzdem gab es eine rote Linie – die Männer mussten auf Distanz gehalten werden.

Im nächsten Blog stehen Zeugen Jehovas, die in Lebensborn-Heime abkommandiert waren, im Mittelpunkt – vor allem die Frauen.

[1] Zitiert nach „Kinder für den Führer. Der Lebensborn in München“, München 2013, S. 133
[2] Vgl. Christl Wickert: Ravensbrücker KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiterinnen beim Lebensborn (1943–1945). In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 62 (2014), H. 12, S. 1013-1032; Johannes Wrobel: Steinhöring. In: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrations-lager. Bd. 2 Frühe Lager. S. 500-502; Sabine Schalm: KZ-Häftlinge für den Lebensborn. In: „Kinder für den Führer. Der Lebensborn in München“, München 2013, S. 132-135
[3] Arolsen Archives Digitales Archiv 4.1.0/82462641
[4] Arolsen Archives 4.1.0./82448820
[5] Arolsen Archives 4.1.0./824499994-95

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