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Galizien liegt nicht nur in Spanien: Auf der Grenze zwischen der Ukraine und Polen |
Wir sehen sie schon von weitem, die kleine, uralte Holzkirche von Dębno, einem Dorf südlich von Krakau. Ihr Turm erinnert an einen Wehrturm, und der Zaun, der das Kirchlein aus dem 15. Jahrhundert hermetisch umgibt, verstärkt den Eindruck der Wehrhaftigkeit noch. Take 1 Krakau, die westlichste Stadt des alten Galizien, liegt schon hinter uns. Aber ihr südliches Flair, die Plätze, die alten Häuser und Kirchen gehen mir nicht aus dem Kopf. Und die Menschen, die noch schlendern können und sich an jeder Straßenecke von Pantomimen und Musikanten unterhalten lassen. Wir wollen weiter nach Osten, über die polnisch-ukrainische Grenze, ins Herz einer Region, die einmal „Königreich Galizien und Lodemerien“ hieß und knapp 150 Jahre, bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte. Eine Region, in der viele Völker, Religionen und Kulturen lebten. Ukrainer, Polen, Rumänen, Russen - vor allem viele Juden. Take 2 Und die deutschen Besatzer funktionierten sie um, zu einer Lagerhalle. Nach dem Krieg wurde es nicht besser: Auch die Rote Armee benutzte das Gebäude als Lager, bis es schließlich ganz heruntergekommen war. Take 3 Mittlerweile gibt es in der Synagoge eine Heizung und wackliges Gestühl. Zweimal am Tag findet ein Gottesdienst statt. Auch die Sonntagsschule arbeitet wieder. Aber hier ist es wie überall im Land: Viele Junge gehen fort, in den Westen. Nur die Alten bleiben - aber sie machen weiter. Welche Energie sie haben, das beweist Boris Dorfmann am Ende dieses anstrengenden Tages. Er singt. Am nächsten Morgen treffen wir Alfred Schreyer. Mit ihm fahren wir nach Drohobyč: eine alte Industrie-Stadt achtzig Kilometer südwestlich von Lemberg. Take 4 Genau an der Stelle, wo wir stehen, wurde Bruno Schulz im November 1942 erschossen. Eigentlich gehörte er zu den Juden, die von Gestapo und SS protegiert wurden, weil sie nützlich waren. Bruno Schulz katalogisierte zum Beispiel geraubte Gegenstände, und er malte Räume aus, das Kasino der Gestapo, die Wohnung des Gestapochefs ... Deshalb hielt der seine Hand über Schulz. Aber eines Tages wollte sein Stellvertreter sich an seinem Chef rächen – und nutzte dazu eine so genannte „wilde Aktion“. Take 5 Aber Karl Günter schoss, zweimal – und befahl, den Toten liegen zu lassen. Unser nächstes Ziel ist Brody, eine Kleinstadt rund 100 Kilometer von Lemberg entfernt. Am liebsten würden wir mit dem Zug dort hinfahren – schon wegen der Bahnhöfe. Der Lemberger ist gerade hundert Jahre alt geworden: ein Gebäude wie ein Schloss, mit einer riesigen Empfangshalle, prächtigen Bahnsteigen, einem Wartesaal mit Säulen, Spiegeln und Kronleuchtern ... Aber wir sind nicht wegen des Bahnhofs nach Brody gekommen, sondern wegen Josef Roth, einem Schriftsteller und Journalisten, dessen Romane immer wieder den Untergang der KuK-Monarchie thematisieren. Roth ist in der kleinen Provinzstadt geboren und zur Schule gegangen. Take 6 Im ersten Stock der Schule gibt es eine kleine Ausstellung. Da sind Fotos zu sehen und Zeitungsartikel, die Joseph Roth in den großen deutschsprachigen Zeitungen veröffentlicht hat. Und in einer Vitrine liegen seine Romane: Radetzkymarsch, Hotel Savoy, Hiob ... Take 7 Eine 14jährige Schülerin von Dana Melnik fühlte sich von dem Gedicht herausgefordert. Sie schrieb es um: Sie machte aus Roths Verszeile: „Ich weiß nicht wo“ ein „Ich weiß wo“ und setzte Roths Gefühl der Verlorenheit ihre Verbundenheit mit Brody entgegen. Take 8
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