Hier liegt Filehne - mitten im so genannten "Warthegau", wie die westliche Region Polens unter NS-Besatzung bezeichnet wurde



Wer oder was sind eigentlich "Filehne-Kinder"?
 

Beim Durchforsten meines Lebensborn-Archivs – der 2. Teil soll noch in diesem Jahr ins Arolsen Archive wandern – fallen mir immer wieder die „Filehne-Kinder“ auf.
Wer oder was sind eigentlich „Filehne-Kinder“?
Acht von ihnen lebten am Kriegsende in Steinhöring, im ehemaligen Lebensborn-Heim „Hochland“. Das steht auf einer Liste, die Namen und Daten aller Mädchen und Jungen, festhält, die im Heim waren (Arolsen Archives 4.1.2 / 81796222). Eins dieser Kinder war Otto Ackermann, später Hannes Dollinger – ein Mann, den ich gut gekannt habe. Hannes Dollinger ist in Norwegen auf die Welt gekommen, seine Mutter war Norwegerin, sein Vater Deutscher - das hat Hannes Dollinger allerdings erst Jahre später herausgefunden.
Frage: Stammten auch die anderen Filehne-Kinder aus Norwegen, waren auch die anderen Kinder von ihren Müttern zur Adoption freigegeben und – ohne Wissen der Frauen - vom Lebensborn nach Deutschland gebracht worden?
Vielleicht. Jedenfalls lassen die Namen von drei anderen Kindern, die auf der Liste stehen, auf eine norwegische Herkunft schließen.

Ich halte mich an Hannes Dollinger: Wie ist er zum „Filehne-Kind“ geworden? Tatsächlich hatte er einige Stationen hinter sich, ehe er am Kriegsende im Lebensborn-Heim „Hochland“ landete. So steht es in dem Buch „Kind unbekannter Herkunft“, das seine Geschichte erzählt:
Im September 1942 in Oslo geboren, bis Oktober 1944 im norwegischen Lebensborn-Kinderheim Godthaab. Dann nach Deutschland, zuerst ins Lebensborn-Heim in Klosterheide, dann ins Lebensborn-Kinderheim in Kohren-Sahlis. Im Buch heißt es weiter: „Was dazu führte, warum und wann er nach Polen kam, ist nicht nachvollziehbar“ (S. 95) Ist das etwa Filehne? Ein Ort in Polen?

Im Berliner Bundesarchiv finde ich in einem dicken Dokumenten-Band (BArch NS 48/30) zufällig ein paar Zeilen über Filehne. Unter der Überschrift „Unterbringung von Kindern im Warthegau“ heißt es in einem Schreiben von Inge Viermetz vom Lebensborn-Vorstand (16.9.1943): 
„1. Kinderheim Filehne, Kreis Scharnikau. Platz für 15 Kinder, Schule vorhanden, elektrisches Licht und Wasser im Hause, ebenso ausreichende Heizmöglichkeiten. Für die Zwecke des Lebensborns brauchen größere Veränderungen im Heim nicht vorgenommen werden. Aus den Einzelberichten über die Heime geht hervor, was von der Verwaltung noch anzuliefern ist, bevor die Lebensbornkinder eingewiesen werden. Personal ist vorhanden.“ (Blatt 229)

Inge Viermetz war im besetzten Polen unterwegs, um Heime für die Unterbringung von Lebensborn-Kindern zu suchen, weil das Kinderheim in Kohren-Sahlis ständig überfüllt war. Außer Filehne besichtigte Viermetz ein Heim an der Bahnstrecke Posen-Hohensalza, andere in den Kreisen Kalisch, Gostingen, Punitz … lauter Orte und Kreise im Westen Polens, die nun deutsche Namen tragen.

Und dann entdecke ich ein Vernehmungsprotokoll von 1949, in dem eine Anne-Marie Gruen über Filehne berichtet (Arolsen Archives 6.1.2 / 82491382) - sie hat dort nämlich gearbeitet. Danach wurden in Filehne zwischen Januar 1943 und Januar 1945 insgesamt 40 Kinder untergebracht, zehn Waisenkinder, 30 norwegische Kinder. Die ersten 15 kamen im April 1944, im Dezember 1944 wurden noch einmal 15 eingeliefert. Einen Monat später flüchtete Anne-Marie Gruen mit ihnen Richtung Westen …

Und wo liegt jetzt Filehne? Eine alte Karte mit deutschen Ortsnamen findet sich im Internet … Schneidemühle, heute Piła, liegt nördlich von Posen, Filehne, heute Wieleń, nicht weit davon entfernt. Was für eine Irrfahrt für die norwegischen Kinder. Wie Pakete hin- und hergeschickt – das trifft den Nagel auf den Kopf!

Link zum Schloss Filehne

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