Christa Wolfs "Kindheitsmuster"
in einer aktuellen Ausgabe



Wie ist der „Lebensborn“ in meinen Kopf gekommen?
 

Irgendwann tauchte die Frage auf: Seit wann kenne ich das Wort „Lebensborn“ eigentlich? Aus der Schule bestimmt nicht. Von Betroffenen auch nicht.
Woher dann?
Als ich neulich Carolin Würfels „Drei Frauen, die vom Sozialismus träumten“ las, kam mir plötzlich die Idee. An einer Stelle schreibt Würfel über Christa Wolf:  
„Im selben Jahr (1942) las Christa in einer Zeitschrift einen Bericht über blonde Frauen, die sich SS-Männern hingaben, um so genannte reinrassige Kinder zu zeugen und dem nationalsozialistischen Staat ein Geschenk zu machen. Christa rief empört: Das mache ich nicht. Es war einer der wenigen Momente, in denen sie nicht mit dem Machtapparat übereinstimmte.“ (S. 26)
Das Wort „Lebensborn“ erwähnt Würfel nicht – aber sie meint es, klar.

Dass Christa Wolf über die angeblich „gelenkte Zeugung“ geschrieben hatte, war mir neu. Aber mit war sofort klar, dass das nur in ihrem Roman „Kindheitsmuster“ gewesen sein konnte. Darin spürt und denkt sie – in Gestalt der Figur Nelly – über ihr Aufwachsen in der NS-Diktatur nach. Damals war Christa Wolf tatsächlich ein gläubiges BDM-Mädchen.
Ich las den Roman, zum zweiten oder dritten Mal, auf der Suche die Stelle … und wurde nach 200 Seiten fündig. Da liest die Hauptfigur Nelly in der SS-Zeitschrift „Das schwarze Korps“ von „blonden, großgewachsenen, blauäugigen SS-Männern“ und „ebensolchen Bräuten“, die „zum Zweck der Zeugung eines reinrassigen Kindes zusammengeführt wurden“ … und so weiter. Es folgt Nellys spontane Ablehnung „das nicht“! Und das Wort „Lebensborn“ fällt auch.

Christa Wolf – versicherte mir eine Wolf-Expertin – habe historische Fakten und Hintergründe immer sorgfältig recherchiert. Umso bitterer, dass sie dem Lebensborn-Mythos auf den Leim gegangen ist. Allerdings gab es in den 1970er Jahren, als Wolf den Roman schrieb, nur ein Sachbuch über den Lebensborn, im Westen - und die Verfasser Hillel/Henry redeten der „Zuchtanstalt“ das Wort. Und davor den unsäglichen Film von Artur Brauner und das unsägliche Buch von Will Berthold. Sensationslüstern ausgeschmückte Gemälde der „Zuchtanstalt“.

„Kindheitsmuster“ kam 1979 in Westdeutschland heraus. Wenig später habe ich den Roman gelesen … und dabei hat sich das Wort „Lebensborn“ in meinem Kopf festgehakt. So fest, dass ich mir 1987 in meinem Buch „Frauen ohne Kinder“ (1987) zwei Sätze über den Lebensborn nicht verkneifen konnte. Da war er für mich eine „Zuchtanstalt für arischen Nachwuchs“ (S.29).
Zehn Jahre später wusste ich dann besser, was es mit der SS-Organisation auf sich hatte.

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