Ein Bronze-Mädchen, das für alle polnischen Kinder steht, die zwischen 1942 und 1945 von der SS geraubt wurden ©dsk
Ein Klick aufs Bild öffnet weitere Bilder



Gedenken auf Polnisch
 

In Połczyn-Zdrój – früher Bad Polzin – gibt es eine Lehrerin, für die Geschichte nichts Vergangenes ist. Eines Tages fand Bożena Łukomska, dass in ihrem Städtchen etwas passieren musste:
Schließlich hatte es hier ein SS-Lebensborn-Heim gegeben, wo nicht nur Kinder auf die Welt gekommen, sondern auch geraubte polnische Mädchen und Jungen gelandet waren. Um von hier aus an deutsche Pflegeeltern vermittelt zu werden.

Sicher, am ehemaligen „Heim Pommern“ gab es eine Erinnerungstafel. Aber Bożena Łukomska wollte etwas Würdigeres, Eindrucksvolleres. Schließlich war das Schicksal der Kinder grausam: Die SS hatte sie ihrem Zuhause entrissen, in Heime gesteckt, ihrer Identität und Sprache beraubt …  Und war nicht Kinderraub immer noch eine Kriegsstrategie? Also machte Bożena Łukomska sich an die Arbeit.

Sie gewann Mitstreiterinnen und Mitstreiter, den Bürgermeister zum Beispiel und eine junge Bildhauerin, Schulklassen und Eltern ehemaliger Schüler, den Chor der Stadt und einen ukrainischen Chor, Freunde und Verwandte … und natürlich Sponsoren.
Denn das war der Plan: Ein zweitägiges Fest, mit historischen Vorträgen und Zeitzeugen-Gesprächen, mit Musik und Filmen, mit einer Ausstellung – und mit der feierlichen Einweihung einer Bronzeskulptur. Die sollte zwischen dem Städtchen und dem ehemaligen Heim (heute ein Sanatorium) ihren Platz finden, gegenüber einer kleinen Kapelle, nicht weit vom Seeufer entfernt.

Anfang September 2023 war es so weit. Die Gäste kamen, aus Łódź, Koszalin und Berlin, aus Lwiw und Bonn … die meisten natürlich aus Połczyn-Zdrój: Schulklassen mit Fahnen und rot-weißen Schärpen, Pfadfinder in Uniform, Jäger ganz in grün, Repräsentanten, Kurgäste, dazu Presse, Radio, Fernsehen. Rot-weiße Fahnen wehten, Blumen wurden abgelegt, die Chöre sangen, der Bürgermeister redete, die Bildhauerin bedankte sich, Honoratioren traten auf und ab … Im Publikum die Zeitzeugen, allen voran Barbara Paciorkiewicz und Alodia Witaszek, aber auch drei im Lebensborn-Heim „Pommern“ Geborene. Alle 80 Jahre und älter – und immer noch im Bann ihrer Geschichte. Nur ein offizieller Vertreter aus Deutschland fehlte!

Schließlich wurde die Bronzeskulptur – ein Mädchen mit wehendem Kleid und wehendem Haar - von ihrem rot-weißen Band befreit. Nun steht sie da, schaut in die Ferne, in ihre ungewisse Zukunft. Und erinnert die Menschen, die vorbeikommen, an ein Geschehen, das 80 Jahre zurückliegt und eine grausame Aktualität hat.

Ich wünsche mir, dass deutsche Dörfer und Städte, in denen einmal ein Lebensborn-Heim existiert hat, ebenfalls eine Form des Erinnerns finden. Denn auch dort wurden Kinder im Namen der „Rasse“ instrumentalisiert und durch Geheimhaltung mit einer Bürde ins Leben entlassen, die viele bis heute belastet.

zurück zur Übersicht