Wie 10 000 jüdische Kinder gerettet wurden.
Davon erzählt eine Ausstellung in Berlin ©dsk

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Die Kindertransporte nach England - 1939-1940
 

Geschichte und Geschichten von Kindern im 2. Weltkrieg beschäftigen mich immer wieder - nicht nur, wenn es um Lebensborn-Geborene geht oder verschleppte Kinder aus Osteuropa. Über jüdische Kinder, die 1939/40 mit Kindertransporten nach England flüchten konnten und so dem Holocaust entkamen, hatte ich schon einiges gelesen. Durch eine Ausstellung in Berlin ist mir noch einmal klar worden, was diese Trennung für die Kinder und ihre Familien bedeutet hat … und wie viele Parallelen es zum Beispiel zu den geraubten, zwangsgermanisierten Kindern gibt.

Hier die Fakten. Nach den Pogromen im November 1938 (der so genannten „Kristallnacht“) gab die Britische Regierung ihr Plazet: Kinder mit jüdischen Wurzeln durften nach Großbritannien einreisen – wenn sich dort Menschen oder Institutionen bereit erklärten, sie aufzunehmen. Etwa 10 000 Mädchen und Jungen aus Deutschland, Österreich, Polen und der Tschechoslowakei schafften es zwischen Dezember 1938 und August 1939 nach England. Die Kleinsten gingen noch nicht zur Schule, die Großen waren nicht älter als 16. Als Gepäck durften sie nur einen Koffer, eine Handtasche, ein einziges Foto und zehn Reichsmark mitnehmen. Dann begann der Krieg – und die Kindertransporte wurden unmöglich.
Ihr Leben war gerettet, aber der Bruch ihrer Biografie war total. Sie hatten alles verloren: Eltern und Elternhaus, Geschwister und Freunde, Sprache und Gewohnheiten, Zuversicht und Perspektive – meistens für immer. Manche fühlten sich verstoßen, weil sie nicht verstanden, warum man sie fortgeschickt hatte. Andere fanden keine Ruhe, weil sie Angst um ihre Eltern, Geschwister, Verwandte zu Hause hatten. Einige konnten sich rasch eingewöhnen, weil sie liebevoll aufgenommen wurden, aber viele blieben auch ´verloren´, wurden ausgenutzt, missbraucht, herumgestoßen.

Die Berliner Ausstellung zeigt bewegende Dokumente und Fotos: Kennkarten und Pässe, Briefe, Postkarten, Telegramme. Elternbriefe, die vom Alltag in Deutschland erzählen und Normalität vortäuschen („Freitag habe ich einen Napfkuchen gebacken“), die vom Wiedersehen sprechen, die Mut machen wollen und den Zusammenhalt beschwören („Punkt 12 Uhr am Mittag einen Blick auf die Sonne werfen und alle im selben Moment … beisammen sein“). Kinderbriefe, die vom neuen Leben berichten („gestern spielte ich Klavier und sprach mit Mrs. Welch deutsch“), eine Zeichnung des Kinderzimmers beilegen oder ein Foto mit den „aunties“. Sorge, Not, Angst klingen nur leise durch: „Manchmal ist mir bang nach Dir,“ schreibt eine Mutter aus Prag. Und ein Vater aus Berlin: „Falls Du lange keine Nachricht bekommen solltest, brauchst Du Dich nicht zu ängstigen. Was kann schon passieren?“

Sätze wie diese haben die Ausstellungsmacher auf fünf übergroße Stellwände geschrieben, als Motto über fünf Kinder-Geschichten. Zwei von ihnen leben noch, aber die Reise nach Berlin war zu beschwerlich. Dafür waren Hella Pick (94) und Alfred Dubs (91) gekommen, auch sie „Transportkinder“ – zwei alte Menschen voll Energie und Lebendigkeit. Ihnen zu begegnen war ein Geschenk! „Lord Dubs“, irgendwann geadelt und damit Angehöriger des britischen Oberhauses, nutzte die Pressekonferenz und sprach über unbegleitete minderjährige Geflüchtete, für die er sich bis heute einsetzt. Sie sind – wie er vor fast 90 Jahren - allein in einem fremden Land und brauchen offene Arme und Herzen.

Leider ist die Ausstellung nur bis zum 23. Februar im Deutschen Bundestag/
Paul-Löbe-Haus zu sehen. Für einen Besuch muss man sich zwei Tage vorher anmelden – hier der Link

Über die Kindertransporte sind viele Bücher geschrieben worden, eine Liste findet man hier Mich haben zwei Roman nachhaltig beeindruckt: W.G. Sebalds „Austerlitz“ (2001) und Ursula Krechels „Landgericht“ (2012)

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