Einmal im Jahr wird die Herde in der Arena zusammen getrieben, um die einjährigen Hengste herauszufischen ©dsk
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Im Merfelder Bruch Die einzige Wildpferdeherde Europas |
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Plattes Land, Wiesen, Felder und kleine Waldstücke, ab und zu ein Bauernhof oder ein Dorf mit blankgeschrubbten Backsteinhäusern – tiefste münsterländische Provinz, der auf den ersten Blick nicht viel abzugewinnen ist. Dabei ist es ausgerechnet der Beschaffenheit dieser Landschaft zu verdanken, dass hier ein einmaliges „Naturdenkmal“ zu bewundern ist: Die Dülmener Wildpferde, deren Geschichte ins tiefe Mittelalter zurückreicht. Friederike Rövekamp, ihres Zeichens Forstoberinspektorin auf den Gütern des Herzogs von Croy,bringt mich zu den Tieren. Take 1 Wir bleiben stehen, mitten in diesem sumpfigen, niedrigen Wald aus Birken, Erlen und Fichten, Friederike Rövekamp und ich. Denn vor uns, neben uns, hinter uns stehen Pferde, einen Meter, zwei Meter, fünf Meter entfernt. Kleine graue Tiere mit langem Winterfell, kräftigen Leibern, langen schwarzen Mähnen und Schweifen – und einem so genannten Aalstrich entlang der Wirbelsäule. Es sind die Dülmener Wildpferde, zu denen mich die Försterin an diesem Morgen geführt hat. Und während ich meine Fragen stelle und sie erzählt, kommen die Tiere langsam näher, die Ohren gespitzt, den Hals vorgestreckt, die Nüstern gebläht. Take 2 Dass wir den Pferden so nah kommen würden, hätte ich mir nicht träumen lassen. Eins beginnt jetzt sogar, an meiner Kapuze zu knabbern, ein anderes schnuppert am Mikrophon, das ich ihm hinstrecke ... Dass wir sprechen, stört sie nicht - und Friederike Rövekamp ihrerseits lässt sich von den Tieren nicht in ihrem kleinen historischen Exkurs stören. Schließlich muss die Frage geklärt werden, warum ausgerechnet die Wildpferde im Merfelder Bruch, in der Nähe des münsterländischen Städtchens Dülmen überlebt haben, während die anderen Wildpferde, die es in Westfalen einmal gegeben hat, verschwunden sind, vor mehr als 250 Jahren. Es wurde damals einfach zu eng. Take 3 Und das Merfelder Bruch, wo wir jetzt hier stehen, ist halt Moorgebiet gewesen und man konnte nichts anbauen. Und deshalb hat es diesen Interessenskonflikt nicht gegeben und die Pferde haben hier überlebt und sind im Grunde durch Zufälle wieder entdeckt worden, vor 150 Jahren. Damals gab es eine Agrarreform. Das Merfelder Moorgebiet wurde den Herzögen von Croy zugesprochen – und die entdeckten ihr Herz für die Wildpferde, von denen gerade noch 20 Tiere existierten. Sie zäunten das Gelände großräumig ein, sorgten für bessere Weideflächen. Und tatsächlich wuchs die Herde langsam. Heute, 150 Jahre später, leben zwischen 350 und 400 Pferde im Merfelder Bruch. Wie viele es genau sind, weiß niemand. Denn die Tiere sind nach wie vor sich selbst überlassen. Take 4 Aber so ganz frei ist dieses Leben nun doch nicht. In harten Wintern gibt’s Heu – sonst würden die Pferde die Bäume auffressen. Ist ein Tier schwer verletzt oder krank, gibt es schon einmal einen Gnadenschuss. Kadaver werden aus dem Gelände herausgeholt - wenn der Fuchs nicht schneller ist. Aber das hustende Pferd, das uns über den Weg läuft, muss alleine zurechtkommen. Take 5 Und noch etwas kontrolliert der Mensch: die Fortpflanzung. Die Dülmener Herde besteht nur aus Stuten und Jungtieren. Der dazu gehörenden Leit- und Deckhengst – manchmal ist es ein Tarpan, ein rückgezüchtetes Wildpferd aus Polen, manchmal ein Hengst aus der Dülmener Herde – lebt abgetrennt. Nur im Frühling darf er für 4 bis 6 Wochen zu seinem Harem, um Fohlen zu zeugen. 70, 80 schafft er in dieser Zeit, und mehr soll er auch nicht schaffen, denn mehr Tiere verkraftet das 350 Hektar große Gelände nicht. Außerdem werden die männlichen Fohlen nach einem Jahr in Freiheit aus der Herde herausgefangen. Take 6 Am letzten Samstag im Mai wird die ganze Herde zusammengetrieben und in einer Arena vor 20 000 Zuschauern - sortiert. In einer Staubwolke galoppieren die knapp 400 Tiere ein, laufen ein paar Mal im Kreis ... Aber dann bleiben die ersten auch schon stehen und beginnen – zu grasen. Take 7 Ich habe mich direkt an der Bande postiert, um alles genau zu sehen und zu hören. Dabei bleibt vom Zauber meiner ersten Begegnung mit den Tieren wenig übrig. Denn der Fang ist eine harte Sache. Zuerst sieht alles ganz harmlos aus: Die Pferdefänger kommen zu Fuß in die Arena, mit leeren Händen. Dann gehen 10, 12 Männer mit ausgebreiteten Armen auf einige Tiere zu, drängen sie in eine Ecke und versuchen, die kleinen Hengste auszumachen. Kaum ist einer entdeckt, packt ein Fänger das Tier um den Hals – wenn es ihn lässt - und bugsiert es aus der Gruppe heraus in die Arena. Und nun beginnt der Kampf. Mit aller Kraft versucht das junge Tier den Mann abschütteln. Es bäumt sich auf, versucht zu rennen, schüttelt sich ... aber mittlerweile hat ein zweiter Mann es am Schwanz gepackt, ein dritter fasst vorne mit an, ein vierter drückt seitlich gegen das Hinterteil und versucht das Tier umzuwerfen. Ich finde, der Wildpferdefang mag hart anmuten, aber er ist ein Kinderspiel gegen den Stress und die Härte, die die Pferde eigentlich in freier Wildbahn hätten, wenn wir auch noch Wölfe und Luchse und Bären hätten. Das ist hartes Leben. Nicht 2 Stunden im Jahr Wildpferdefang und der Rest des Jahres - auf der Wiese grasen. Ich denke, da entfremden wir uns auch zunehmend. Was ist artgerecht? Artgerecht ist auch manchmal bitter und grausam und tot. Ein junger Hengst allerdings trickst alle aus. Er kann nämlich sieben Mal entwischen: Er durchbricht die Kette der Fänger, er schüttelt den Mann ab, der sich an seinen Hals klammert, er springt über einen 135 cm hohen Zaun ... Zum Schluss ist er ganz allein in der Arena, tänzelt graziös auf und ab, als würde er seinen Sieg auskosten – und versucht dann, den Zaun zu überwinden, der ihn von der Herde trennt. Da bestimmt der Herzog von Croy, dass der Hengst nicht verkauft wird wie seinen Brüder, sondern mit der Herde zurück ins freie Gelände laufen darf. Ein paar Wochen später wird er dann doch gefangen: Er kommt unter Beobachtung – er scheint das Zeug zum Deckhengst zu haben. |