"Heim Moselland" in Bofferdingen/Luxemburg
Davor zehn Kinder, eine NS-Schwester - und zwei Frauen in Zivil, eine von ihnen ist Johanna Hiller, eine Zeugin Jehovas
©Zeugen Jehovas, Archiv Zentraleuropa
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Von wegen „Hilfskräfte“!
Gefangene, Gezwungene! (Teil2)
Zeuginnen Jehovas,
die in den Lebensborn-Heimen arbeiten mussten
 

So wenig über Kriegsgefangene beim Lebensborn bisher bekannt ist, so viel
weiß man über die Zeugen Jehovas, die dorthin abkommandiert waren,
besonders über die Frauen.[1]
Kurz zum Hintergrund: Zeugen Jehovas lehnten den „Führer“-Kult ab, verweigerten den Hitler-Gruß, die Mitgliedschaft in NS-Organisationen, den Kriegsdienst und einiges mehr. Deshalb erklärten die Nationalsozialisten die Religionsgemeinschaft für „staatsfeindlich“. Sie wurde verboten, ihre Mitglieder wurden verfolgt, viele in Konzentrationslager eingesperrt. Da sie ihre Verfolgung aber als Prüfung verstanden, flüchteten sie nicht, wenn sie zur Arbeit außerhalb der Lager eingeteilt wurden. Ihre Bewachung war deshalb nicht ´nötig´.

Bei einem Besuch erfuhr Heinrich Himmler von Irmgard Kersten, der Ehefrau
seines Masseurs, wie zufrieden sie mit dem „guten, willigen, treuen und gehorsamen Arbeitspersonal“ war – sie meinte damit die zehn Zeuginnen Jehovas, die seit 1940
in ihren Haushalt abkommandiert waren. Umgehend veranlasste er, dieses „Arbeitspersonal“ auch beim Lebensborn einzusetzen, als „Halbfreigelassene“ ohne „Sträflingskleidung“.[2]
Im Sommer 1943 wurden die ersten Frauen aus dem KZ Ravensbrück beim Lebensborn eingesetzt: Zwei im bayerischen Heim in Steinhöring, zwei in der Münchner Zentrale bzw. im dortigen Mütterwohnheim, zwei im luxemburgischen Lebensborn-Heim in Bofferdingen (dazu zwei Männer aus dem KZ Dachau), zwölf im „Heim Taunus“ in Wiesbaden, das gerade saniert und erweitert wurde.
Insgesamt hat das Archiv der Zeugen Jehovas 29 Frauen erfasst, die an verschiedenen Lebensborn-Standorten arbeiten mussten. In der Regel wurden sie zum Putzen, Kochen und Waschen eingesetzt, aber auch zur Gartenarbeit - und in Ausnahmefällen zu Schreibarbeiten und zur Kinderpflege und -betreuung.

Johanna Hiller war eine dieser Frauen: Jahrgang 1905, verheiratet, Hausfrau, drei Kinder – für die ihr die Nazis das Sorgerecht entzogen. Im Mai 1942 wurde sie in „Schutzhaft“ genommen, zwei Monate später ins KZ Ravensbrück gesteckt. Ihr
erstes Außen-Kommando: eine SS-Porzellan-Manufaktur. Im Juli 1943 dann das luxemburgische Lebensborn-Heim Bofferdingen.
Von dieser Zeit zeugen zwei Fotos. Eins zeigt Johanna Hiller auf der Außentreppe
des Heims, zusammen mit zwei Schwestern, einer weiteren Frau (der anderen Zeugin Jehovas?) und zehn Kindern. Auf dem zweiten Foto hat sie ein Kind auf dem Arm
und lächelt in die Kamera. Auf beiden Aufnahmen sieht man sie in ihrer privaten Kleidung.

An diesem und den andere Lebensborn-Standorten lebten die Frauen ohne Lager-Terror, ohne Hunger, Schmutz und Enge. Darüber hinaus hatten sie kleine Spielräume: Manchmal durften sie das Gelände verlassen, die Postzensur war gelockert, und in Wiesbaden gelang es ihnen, ihren Glauben ein Stück weit zu leben …
Aber sie waren und blieben Häftlinge – unter der Oberaufsicht der Konzentrationslager.
Als im Sommer 1944 die Fronten näher rückten und ein Lebensborn-Heim nach dem anderen evakuiert wurde, zogen Angestellte, Mütter, Kinder und Zeuginnen Jehovas von einem Ort zum anderen: von Bofferdingen nach Wiesbaden, von Wiesbaden nach Ansbach, von Ansbach schließlich nach Steinhöring. Und dort bleiben sie auch nach dem Einmarsch der amerikanischen Soldaten, während sich die meisten Angestellten aus dem Staub machten. Rosa Riffel, zuerst in Wiesbaden, dann in Ansbach und schließlich in Steinhöring, berichtete später:

„Wir waren dann frei …. Die Schwester hat uns gesagt: Ach bleiben Sie doch noch hier bis die Nonnen kommen und Sie ersetzen. Was soll ich denn machen mit den Kindern‚ ich brauche doch Hilfe. Das haben wir dann auch gemacht, bis wir nach Hause fahren konnten.“[3]

Da war es mittlerweile Herbst geworden. So verantwortlich fühlten sich die Zeuginnen Jehovas für die rund 300 Kinder, die am Kriegsende in Steinhöring lebten. 

 

[1] Meine wichtigsten Quellen: Das Archiv der Zeugen Jehovas. Es verfügt über Dokumente und Fotos und hat Namen und Daten der verfolgten Mitglieder akribisch festgehalten. Eine Studie der Historikerin Christl Wickert über „Ravensbrücker KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiterinnen beim Lebensborn (1943–1945)“ Hier ein Link zum Text

[2] Merkblatt über die Behandlung von Bibelforscher-Häftlingen, die im Lebensborn-Heim abgestellt sind. Aus: Wickert S. 1020/21

[3] Wickert S. 1025

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