Ein Waldrapp in Fotopose ©dsk

Beim Kick aufs Bild gibts weitere Fotos



Im Vogelparadies
Eine Herbstreise nach Andalusien und Marokko
 

Eigentlich habe ich mir den Vogelzug anders vorgestellt. Eigentlich dachte ich, der Himmel sei schwarz von Vögeln, schließlich kehren Jahr für Jahr 5 Milliarden Tiere Europa den Rücken und wandern nach Süden, wenn es Herbst wird.
Die Realität sieht ziemlich anders aus. Die meisten kleinen Vögel ziehen nachts und ruhen sich tagsüber auf dem Boden aus. Da gibt’s wenig zu sehen. Aber die großen, die Segler: Sie brauchen warme Luft, um sich hochzuschrauben und dann im Sinkflug das Meer zu überqueren. Und warme Luft gibt’s nur tagsüber. Deshalb versammeln sich Störche, Geier, Adler, Bussarde, Falken, Milane, Alpen- und Mauersegler an der südspanischen Küste – nur ist der Himmel nicht schwarz. Als ich das verstanden habe, finde ich das Schauspiel einfach fantastisch!

Erster Standort der Derk-Ehlert-Vogelfreunde, mit denen ich unterwegs bin: die Gegend von Tarifa. Hier fällt das Gebirge zum Meer ab, hier heizt die Sonne ordentlich ein – außerdem gibt’s Lagunen zum Ausruhen und Tanken. Auf einer Aussichtsplattform postiert, suchen wir mit den Ferngläsern den Himmel ab. Ein Trupp Alpensegler saust vorbei. Ein Zwergadler, auf der Suche nach einem Thermikschlauch. Ein Schmutzgeier gesellt sich dazu … Jetzt sind es schon vier, sechs, nein acht riesige Vögel, die in einem großen Kreis immer höher steigen, getragen von der aufsteigenden warmen Luft. Ob sie gleich starten? Nein, noch nicht … Das Spiel wiederholt sich. Zwischendurch gucke ich aufs Meer, auf die riesigen Containerschiffe mit ihren Abgaswolken, quer dazu eine Fähre Richtung Tanger, knapp 12 Kilometer ist Afrika nur entfernt. Schließlich startet ein Trupp aus Schwarzmilanen, Zwergadlern, Geiern. Wenig später kommen sie zurück. Vermutlich zu wenig Höhe für den langen Gleitflug. Und so geht es weiter … Irgendwann heißt es: Wir fahren zur Lagune.

Eigentlich eine „Un-Gegend“, findet Derk Ehlert, und damit hat er recht – aber hier gibt’s jede Menge Lemikolen zu sehen. Über Sanderlingen, Löfflern, Flamingos, Säbelschnäblern, Steinwälzern, Schnepfen, Wasserläufern und und und könnte man den Müll auf den Sandbänken fast ignorieren.
Für mich wird das Nebeneinander der verschiedenen Vogelarten zur Lehrstunde. Jetzt sehe ich die Unterschiede: lange Beine, kurze Beine, schwarze Beine, rote Beine, grüne Beine, das Gefieder mehr weiß oder schwarz oder braun … Nur der seltene Triel, über den die anderen fast aus dem Häuschen geraten, versteckt sich vor mir. Dabei ist er über 40 Zentimeter groß!
Mit dem Waldrapp geht’s mir besser. Der Ibis war schon fast ausgerottet, seit einiger Zeit wird er hochgepäppelt, mit Erfolg: Wir sehen bestimmt 50 Waldrappen, die sich bei einer Kuhherde herumtreiben - und wunderbar fotografieren lassen. Schön sind sie ja nicht mit ihrem nackten Kopf, aber ihr Gefieder … es schimmert wie Metall.  

Dass unsere Afrika-Fähre morgens um sieben startet, gefällt mir gar nicht … man sieht doch nichts, meckere ich vor mich hin. Noch ein Irrtum. Es ist die Zeit des Sonnenaufgangs, und der strengt sich mächtig an. Zuerst der langsame Übergang der Dunkelheit ins Tageslicht – und dann ist es mit einem Schlag hell. Es ist jedes Mal ein Wunder.  
Ich bin zum ersten Mal in einem afrikanischen Land. Was sofort auffällt: der Unterschied zwischen Stadt und Land, zwischen arm und reich. Eine pompöse Strandpromenade in Tanger, ein riesiger moderner Containerhafen, neue Autos, Straßen, Brücken. Am Stadtrand sehen wir dann die ersten Eselskarren, überladene Pkw (einer transportiert eine ganze Sofalandschaft auf dem Dach), Motorrad-„Taxis“. Weiter draußen dann Kinder und alte Menschen am Straßenrand, die Ziegen oder Schafe hüten … ob die Kinder wohl zur Schule gehen?
Wir steuern eine Lagune südlich von Larache an, wo ein Boot und ein kundiger Führer auf uns warten. Tuckern herum, sind den Vögeln ganz nah. Ein Storch fischt sich einen Aal, schafft es nicht, ihn zu verschlingen, eine Möwe und ein Reiher bedrängen ihn, bis der Reiher gewinnt und der Storch dumm aus dem Gefieder guckt. Frauen stehen im knietiefen Wasser und suchen Muscheln. Männer graben nach Wattwürmern. Fischer in kleinen Booten werfen Netze aus, und im Hafen bringen größere Boote den Fang vom Atlantik herein. Das alles wirkt intakt – und für mich idyllisch.
Am nächsten Morgen (vor Sonnenaufgang) will uns unser kundiger Führer zu Kap-Ohreulen bringen. Auch sie sind vom Aussterben bedroht, weil ihr Lebensraum – Feuchtgebiete mit hohen Binsen – verschwindet. Tatsächlich entdecken wir bald eine, die auf einem Pfosten sitzt … ziemlich klein, denke ich noch. Im nächsten Moment beweist sie das Gegenteil. Mit einem bodennahen Schwung breitet sie ihre Flügel aus, erhebt sie sich, dreht eine Runde, eine zweite kommt dazu … und weg sind die großen Tiere. Da ist es schon fast hell.

Weiter geht’s Richtung Osten, zum Rif-Gebirge und zur „blauen Stadt“. Zuerst durchqueren wir eine Steppenlandschaft, dann einen riesigen Korkeichenwald. Hier hat es gebrannt, aber viele Bäume treiben schon wieder aus. In diesem Wald leben Berberaffen, die ReisegefährtInnen mit den guten Ohren hören sie hin und wieder rufen. Zu sehen sind sie nicht … aber dann, wir sind fast am Ende des Walds, zeigen sie sich. Ein Tier sitzt in einer Astgabel, in Straßennähe, vermutlich ein Männchen, vielleicht der Boss. Er ist mit Fellpflege beschäftigt – und wirft hin und wieder einen Blick in unsere Richtung. Dann turnt plötzlich ein Junges von Ast zu Ast, ein älteres Tier springt hinterher … ist das schön. Die ersten wilden Affen meines Lebens!

Das Rif-Gebirge ist steil, schroff, die Vegetation abwechslungsreich. Zwei Geländewagen fahren uns auf 1700 Meter Höhe, zwischendurch wird gestoppt, beobachtet, bestimmt: Da eine Blaumerle, ah, ein Afrikanischer Buchfink, ein Diademrotschwanz, den ich leider nur im Abflug sehe … Rechts und  links der Piste kleine Cannabisfelder, oben Atlaszedern und dichte Tannen mit riesig langen Nadeln. Auf dem Rückweg ein herrlicher Blick auf Chefchaouen, die „blaue Stadt“: Von Berbern gegründet, im 15. Jahrhundert ein Zufluchtsort für Juden und Moslems, die aus Spanien vertrieben wurden. Die blaue Farbe soll den bösen Blick fernhalten, steht bei Wikipedia – naja, später wurde sie zur Idee der Tourismusindustrie. Egal: Die blauen Häuser, Türen, Fenster, die engen verwinkelten Gassen, durch die wir dann laufen - das alles ist exotisch, romantisch und einfach schön.

In Tétouan dann noch einmal eine Vogel-Sensation: Über 1000 Weißstörche haben es an diesem Tag in kleinen oder großen Trupps geschafft, die Straße von Gibraltar zu überqueren. Die meisten fliegen gleich weiter, ein paar landen im Fluss, trinken – und dann geht’s schon wieder los. Zur nächsten Herausforderung, der Sahara …

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